070 | Die Ruhe auf der Flucht nach Ägypten

Bezeichnung/Titel
Die Ruhe auf der Flucht nach Ägypten
Bezeichnung (Gattung)
Gemälde
Katalognummer
070
Inventarnummer (BStGS)
197
Aktueller Aufbewahrungsort
Alte Pinakothek, München
Aufbewahrung (Filialgemäldegalerie)
1906-1934
Standort in der Orangerie
Herstellung
Hersteller (Person)
Herstellungsdatum
17. Jh.
Material
Leinwand
Maße (Höhe/Breite/Tiefe)
72,5 x 65 cm
Literaturnachweis
Kurztitel
Seite
S. 14
Kurztitel
Seite
S. 23-24
Kurztitel
Seite
S. 195
Kurztitel
Seite
S. 11
Kurztitel
Seite
S. 132, Nr. 334
Kurztitel
Seite
Nr. 64
Kurztitel
Seite
Nr. 822
Kurztitel
Seite
Nr. 496
Kurztitel
Seite
Nr. C 612
Kurztitel
Seite
S. 73, Nr. 334
Kurztitel
Seite
Nr. 343
Abbildungsnachweis
Bayerische Staatsgemäldesammlungen, München - CC BY-SA 4.0
Eigentümer
Bayerische Staatsgemäldesammlungen, München
Wissenschaftliche Diskussion

Aus mehreren Gründen ist die „Ruhe auf der Flucht“, die Emanuel de Witte zugeschrieben wird, besonders. So zeigt das Werk ein unübliches Motiv für de Witte, nämlich eine Abenddämmerung, da er ansonsten für sein „Wechselspiel aus Sonnenlicht und Schatten“ (Nicolaisen 2012, S. 341) sowie für den „Innenraum von einer protestantischen Kirche“ (Rijksmuseum, Amsterdam) bekannt ist. Nur „gelegentlich überschritt er die Grenzen dieser vor allem in Delft geübten Fachmalerei“ (Dekiert 2006, S. 232). Dies lässt eine Datierung bis 1650 vermuten, denn in diese Zeit fallen einige seiner Darstellungen jenseits von Kirchen und Märkten, wie die „Danae“ (1641) oder „die Heilige Familie“ (1650) (Plomp 2001, S. 443 - Manke 1963, S. 11). Letzteres zeigt Joseph in seiner Werkstatt, während Maria das Kind säugt. Die Physiognomie, soweit an den Abbildungen zu erkennen, ist ähnlich. Die Szenerie wird durch eine Kerze schlaglichtartig erhellt.

Dagegen finden sich im vorliegenden Gemälde zwei Lichtquellen, einerseits im Vordergrund durch die Laternen, welche die Figuren beleuchtet, andererseits im Hintergrund durch den Mond. Letzterer lässt in gedeckten Farben die Landschaft erahnen, sodass Räumlichkeit entsteht.

Der Vordergrund ist als schmale Bühne konzipiert. Maria hat sich links im Vordergrund neben eine Laterne gesetzt und hält den Jesusknaben im Arm, während sie mit ihrer Rechten einen Hund streichelt. Unterdessen kümmert sich Joseph um den fressenden Esel, der seine Futterkrippe neben einer Hütte hat.

Weiterhin ist die diffizile Lichtstimmung und gedämpfte Farbgebung im vorliegenden Gemälde eindeutig von Rembrandt beeinflusst, sodass das Werk selbst, als ein Ersatz des bedeutendsten holländischen Malers für die Erlanger Sammlung gelten kann (Bulle 1906, S. 23f.). Genauso wie das Gemälde „Bärtiger Greis mit Barett“ (Nr. 71) von Jaques des Rousseau.

Jedoch sind die meisten Werke Emanuel de Witte in die 1640er datiert, sodass Manke das vorliegende Werk nicht in ihren Katalog aufnimmt (Manke 1963, S. 8). Die Zuschreibung bleibt daher, ohne nähere Forschung, fraglich. Reber spricht daher nur von einem Rembrandt Nachfolger (Reber 1906, S. 14).

Alexander Steinmüller

Kurztext

Welch großen Einfluss Rembrandt van Rijn (1606-1669) auf seine Zeitgenossen hatte, wird durch das Gemälde „Ruhe auf der Flucht nach Ägypten“ von Emanuel de Witte (1617-1692) ersichtlich. So spiegelt die diffizile Lichtstimmung und gedämpfte Farbgebung des Werkes Rembrandts charakteristische Malweise wider. Dieses Gemälde, wie auch „Bärtiger Greis mit Barett“ (Nr. 71), vertritt die Schule Rembrandts in der Erlanger Lehrsammlung.

Alexander Steinmüller

Anmerkung

Reber 1906: „Rembrandt van Ryn, Nachfolge […] Die Ruhe auf der Flucht nach Ägypten. Nachtstück. Unter Bäumen bei einer zerfallenen Hütte sitzt Maria mit dem Kinde und spielt beim Schein einer Laterne mit einem Hündchen, während Joseph mit dem Saumtier beschäftigt ist.“ (S. 14)

Bulle 1906: „Hingegen vermittelt ein andres Bild eines ungleich wackereren Rembrandtschülers (Nr. 70, II. Saal, Mittelraum, Nordostwand) eine gute Vorstellung von der Kunst des Meisters, und zwar derjenigen seiner späteren Epoche, während das Porträt mehr an seine frühere Zeit erinnert. Es ist eine Ruhe auf der Flucht: Vorn Joseph mit einer Laterne, daneben die Madonna mit dem Kind. Hinten der aufgehende Mond, ein Stück heller Nachthimmel, daneben Walddämmer. Rembrandt ist der Dichter des Lichts. Er führt es in rhythmischem Flusse über Körper und Flächen hin und lässt es sich dann in geheimnisvolle Dunkelheiten verfließen und auflösen. […] Das Bild hat zwei Lichtkreise, von denen man den einen als den seelischen, den andern als den räumlichen bezeichnen könnte. Vorne leitet uns das Licht von der Laterne aus über den Körper der Maria hinauf zu ihrem Kopf, wo neben ihrem Antlitz das des Kindes hellbeleuchtet auftaucht, beide das Ziel und Ende der Lichtbewegung, so daß wir ihre Köpfe, die auch die stärksten seelischen Werte enthalten, als Schluß und Hauptsache der Komposition empfinden. Diese Gruppe würde nun aber mit ihren hellen Lichtern unvermittelt aus einem unsicheren, unklaren, also unerfreulichen Dunkel auftauchen, wenn nicht dahinter der zweite Lichtkreis für ein deutliches Raumgefühl sorgte. Mond und Himmel geben durch ihre Helligkeit den hinteren Abschluß, von da aus fließt sanftes Licht in den Wald, sich allmählich verlierend, aber noch deutlich genug, um nun die Gruppe in einer geheimnisvoll, aber ausreichend klar angedeuteten Oertlichkeit erscheinen zu lassen. Neben der Lichtführung spielen die Farben selbst bei Rembrandt nur die zweite Rolle; nicht auf Farben-, sondern auf Helligkeitskontraste sind seine Bilder aufgebaut, weshalb sich ja auch Rembrandt in der Radierung fast ebenso restlos auszusprechen vermag wie im Bilde. Seine Farben sind gleichwohl von höchstem Reiz. Nur sind sie nicht so laut, so hell, strahlend und kräftig wie bei Rubens, sondern unbestimmt, gedämpft, ineinander vertrieben, schwer beschreibbar. Bei unserem Bilde haben wir ein stumpfes Rotgelb am Rock der Maria, Grauweiß an ihrem Kopftuch, Warmgelb im beleuchteten Gesicht. Alles übrige einschließlich der Landschaft liegt in einem gedämpften satten Grünbraun. Die Farben haben etwas geheimisvolles, sie geben sich uns nicht klar und einfach zu erkennen, aber darum halten sie uns um so intensiver fest.“ (S. 23-24)

Reber 1913: „Mit dem Namen Rembrandt verbinden sich mit Unrecht zwei geringe Stücke, die Ruhe auf der Flucht und das Brustbild eines alten bärtigen Mannes, ersteres aus Düsseldorf, letzteres aus Mannheim.“ (S. 195)

Haack 1921/22: „Während wir von der Bedeutung und den Einflüssen des großen Haarlemer Meisters Frans Hals nur sehr mittelbar in unserer Galerie erfahren ist der größte Amsterdamer und holländische Maler überhaupt, ist Rembrandt, genau wie Rubens, mit drei Bildern, wenn auch gewiß nicht seiner eigenen Hand, so doch seiner Art und Richtung vertreten. [...] Die Ruhe auf der Flucht nach Ägypten ist ein Nachtstück mit Mondschein und Laternenkerzenlicht.“ (S. 11)