097 | Die heilige Jungfrau mit über der Brust gekreuzten Händen

Bezeichnung/Titel
Die heilige Jungfrau mit über der Brust gekreuzten Händen
Bezeichnung (Gattung)
Gemälde
Katalognummer
097
Inventarnummer (BStGS)
638
Aktueller Aufbewahrungsort
Alte Pinakothek, München
Aufbewahrung (Filialgemäldegalerie)
1906-1922
Standort in der Orangerie
Herstellung
Hersteller (Person)
Herstellungsdatum
um 1385/1390
Maße (Höhe/Breite/Tiefe)
80 x 45 cm
Literaturnachweis
Kurztitel
Seite
S. 19
Kurztitel
Seite
S. 33
Kurztitel
Seite
S. 198
Kurztitel
Seite
S. 5
Abbildungsnachweis
Bayerische Staatsgemäldesammlungen, München - CC BY-SA 4.0
Eigentümer
Bayerische Staatsgemäldesammlungen, München
Wissenschaftliche Diskussion

1921 bezeichnete Haack diese Darstellung einer weiblichen Heiligen auf Pappelholz als „ältestes italienisches Bild“ im bayerischen Staatsbesitz (Haack 1921/22, S. 5) und auch Reber datiert es um 1300 und weist es der byzantino-florentinischen Schule zu (Reber 1913, S. 198). Aktuell geht man jedoch davon aus, dass die Darstellung zwischen 1385 und 1390 geschaffen wurde und damit fast ein Jahrhundert später als bislang angenommen. Ließen Forscher bisher von einer konkreten Zuschreibung ab, wird es heute in der bayerischen Staatsgemäldesammlung als ein Werk des Florentiners Niccolò di Pietro Gerini (um 1340-1414) angesehen.

Das Bildfeld ist hochformatig und weist am oberen Rand einen Kielbogenabschluss auf. Die weibliche Figur befindet sich mittig auf dem goldenen Hintergrund. Sie wird frontal abgebildet und blickt den Betrachter direkt an. Das Gesicht ist rundlich, während die gerade Nase und der schmale Mund klein dargestellt werden. Ein blaues Tuch bedeckt ihren Kopf und fällt über ihren Rücken und die Schultern herab. Ein goldener Nimbus, punziert mit floralen Elementen, umgibt ihr Haupt, das von einem feinen, weißen Schleier umgeben ist. Mit gekreuzten Händen drückt sie ein rotes Buch an ihre Brust.

Der Gestus und das Buch weisen auf die Darstellung als Maria der Verkündigung (auch: Annunziata) hin. Der originale Rahmen weist keine Spuren einer weiteren Befestigung auf. Sonst hätte sich vermuten lassen, dass diese Bildtafel auf einer Seite durch die Darstellung des Erzengels Gabriel ergänzt wurde. Tatsächlich scheint es sich hierbei aber um den für das späte Trecento in Florenz ungewöhnlichen Fall einer Einzeldarstellung der Verkündigungsmaria zu handeln (Syre 2017, S. 191).

Niccolò di Pietro Gerini (1340 – 1414) war ein in Prato, Florenz und Umgebung tätiger Maler. Er gehörte zu den bedeutenden Giotto-Nachfolgern und arbeitete in der zweiten Hälfte des 14. Jahrhundert als “Trecentist” an zahlreichen Aufträgen, auch für hochrangige Auftraggeber. In der Forschung ist er nach 1400 allgemein als ein wenig innovativer Maler der späten gotischen Periode bekannt, der traditionelle Kompositionen aufgriff (Syre 2017, S. 193). Dies würde erklären, weshalb sich Gerini bei seiner Komposition an byzantinischen Ikonenmalereien und dem Stil von Giotto di Bondone orientierte und die Datierungen des Werkes so stark voneinander abweichen. Durch seine Anlehnung an das Trecento kann er in der Erlanger Filialgemäldesammlung die Anfänge der Malerei, die laut Vasari in dieser Epoche und in Giotto speziell zu finden sind, repräsentieren.

Jennifer Höhne

Kurztext

Dieses auf Pappelholz gemalte Marienbild, das noch den originalen Kielbogenrahmen bewahrt hat, galt als das älteste Tafelbild im bayerischen Staatsbesitz. In der Erlanger Galerie sollte es die italo-byzantinische Ikonenmalerei repräsentieren, die um 1300 durch den Florentiner Maler Giotto di Bondone erneuert wurde. Zu erkennen ist dies an einer typischen Gesichtsbildung mit zarter Farbigkeit der Haut, schmalen Augen und gerader Nase sowie am sehr fein gemalten, durchsichtigen Schleier. Eine kleine Krone sowie der Heiligenschien wurden in den glatten Goldgrund punziert. Die Heilige mit dem Buch vor der Brust stellt vermutlich die Maria der Verkündigung (it. Annunziata) dar. Entstanden ist es wohl erst um 1385-1390 und stammt von einem Maler in der Nachfolge des Giotto, Nicolò di Pietro Gerini (um 1345-1416), der sich dabei der altertümlichen Ikonentradition bediente.

Jennifer Höhne

Anmerkung

Reber 1906: „Die heil. Jungfrau mit über der Brust gekreuzten Händen, ein rotes Buch an sich drückend. Brustbild nach vorn.“ (S. 19)

Bulle 1906: „Wir beginnen mit einem Bilde, das an das Ende einer absterbenden Epoche gehört. Nr. 97 ist als Byzantino-florentinisch um 1300 bezeichnet, eine Madonna mit schmalen Augen und flachen Wangen, in strenger Vorderansicht auf Goldgrund, ein Heiligenbild, dessen künstlerische Vorgänger uns aus den Mosaiken von Ravenna und San Marco entgegenblicken. Seit die Macht von Rom auf Byzanz übergegeangen war, hat die Kunst Jahrhunderte hindurch stagniert. Nach Regeln und Rezepten werden ehrwürdige feierliche Typen unermüdlich wiederholt, aber der Zusammenhang mit der lebendigne Natur ist verloren gegangen. Die starren Hände unserer Madonna kreuzen sich wie aus Holz geschnitzt über dem roten Buche. Nur auf den Wangen spürt man vielleicht den ersten Hauch neuen Lebens.“ (S. 33)

Reber 1913: „Nach zeitlicher Ordnung obenan stehend ist ein Marienbild der byzantino-flogentinischen Schule (um 1300), 1809 durch Dillis in Florenz erworben.“ (S. 198)

Haack 1921/22: „Zu der letzteren [italienischen Gruppe] gehört sogar das älteste italienische Bild, das sich überhaupt in bayerischem Staatsbesitz befindet: eine vorgiotteske weibliche Heilige, in kielbogigem Original-Rahmen, auf Goldgrund, mit reich puncirten Ornamenten und Gewandsäumen, gerade von vorn genommen und kerzengerad in der Haltung, mit mandelförmigen Augen, langer gerader schmaler Nase, kleinem Mündchen und zart lasiertem Kopftuch.“ (S. 5)