006 | Die Geschichte der Lukretia

Bezeichnung/Titel
Die Geschichte der Lukretia
Bezeichnung (Gattung)
Gemälde
Katalognummer
006
Inventarnummer (BStGS)
7969
Aktueller Aufbewahrungsort
Alte Pinakothek, München
Aufbewahrung (Filialgemäldegalerie)
1906 - 1910
Standort in der Orangerie
Herstellung
Hersteller (Person)
Herstellungsdatum
1528
Material
Fichtenholz, Öl
Maße (Höhe/Breite/Tiefe)
103,5 x 148,5 cm
Inschrift
Bezeichnet links über dem Gesims: ‚jb [ligiert] 1528‘ Darunter: ‚HOC • OPVS • / FECIT • IEGORIVS / PREW • DE • AVG‘ Am rechten Pfeiler von späterer Hand: ‚BURGKMAIR‘
Literaturnachweis
Kurztitel
Seite
S. 2
Kurztitel
Seite
S. 9-10
Abbildungsnachweis
Bayerische Staatsgemäldesammlungen, München - CC BY-SA 4.0
Eigentümer
Bayerische Staatsgemäldesammlungen, München
Wissenschaftliche Diskussion

Das querformatige Gemälde des Augsburger Malers Jörg Breu d. Ä. (1480-1537) wurde 1528 im Auftrag Herzog Wilhelms IV. von Bayern (1493-1550) und dessen Gemahlin Jacobäa von Baden (1507-1580) für die Münchener Residenz des Fürstenpaares geschaffen. Es entstand als Teil eines aus 16 Bildern bestehenden Historienzyklus, der die heroischen Taten von Männern und Frauen aus der griechischen, römischen, jüdischen und frühchristlichen Geschichte behandelte (Goldberg 1983, S. 5, 59-62). Zu diesem zählte auch Albrecht Altdorfers „Alexanderschlacht“, die heute wohl als das bekannteste Werk der Serie bezeichnet werden darf. In mehreren Simultandarstellungen schildert Breu in vorliegendem Werk die Historie der römischen Heldengestalt Lucretia, deren Selbstmord den Lauf der römischen Geschichte maßgeblich verändert haben soll (Livius, Ab urbe condita, I, 57-60):

Lucretia war die schöne und tugendvolle Gemahlin des Neffen des letzten römischen Königs Lucius Tarquinius Superbus. Dieser befand sich 508 v. Chr. im Krieg mit dem Stamm der Rutuler und ließ deren Stadt Ardea belagern, wobei ihn seine Söhne und L. T. Collatinus unterstützten. Um sich die durch die müßige Belagerung ausgelöste Langeweile zu vertreiben, gaben sich die königlichen Prinzen festlichen Gelagen hin, wobei sie eines Abends auch gemeinsam mit ihrem Vetter Collatinus speisten. Während des Abends entbrannte jedoch ein Streit darüber, welche ihrer Frauen die Tugendvollste sei, was sie sogleich durch einen Besuch ihrer Gattinnen entscheiden wollten. Während sich die Frauen der Prinzen an einem üppigen Mahl ergötzten, trafen sie Lucretia zwischen ihren Mägden bei der häuslichen Arbeit an. Überrascht von der Schönheit und Keuschheit Lucretias packte den Prinzen Sextus das Verlangen, die Frau seines Vetters gewaltsam zu schänden. Trotz der Beteuerungen ihrer Familie, die von ihrer Schuldlosigkeit überzeugt war, stieß sich Lucretia am folgenden Tag ein Messer ins Herz, um nicht fortan als Beispiel von Unkeuschheit zu gelten. Lucius Iunius Brutus, der ein treuer Begleiter ihres Mannes war, schwor am Leichnam der Verstorbenen Rache und rief daraufhin zum gewaltsamen Sturz des Königshauses auf. Mit dem Zuspruch des römischen Volkes bewirkte er die Verbannung der Tarquinier aus der Hauptstadt. In einer anschließenden Volksversammlung wurde die römische Republik ausgerufen und Lucius Tarquinius Collatinus und Lucius Iunius Brutus als deren erste Konsuln gewählt.

In seiner Darstellung setzte Jörg Breu d. Ä. die Legende in mehreren Einzelszenen um, die sich über das gesamte Gemälde verteilen. Der Vordergrund gibt den Blick auf eine bühnenartig inszenierte Palastarchitektur frei, die durch Pfeilerarkaden mit kunstvollen Kapitellen und Basen perspektivisch gegliedert ist. Die Erzählung beginnt zwischen zwei Pfeilern am linken Bildrand, wo Lucretia noch schlafend in ihrem Bett zu sehen ist. In der linken Hälfte des Vordergrundes steht sie in kostbare zeitgenössische Gewänder gekleidet im Kreis ihres Mannes, Vaters sowie deren Begleitern und führt den Dolch in ihre rechte Flanke. Der Künstler malte den Rock Lucretias etwas kürzer als es die damalige Mode vorgab, um dem Betrachter das historisierende Schuhwerk der Figur – die in der Antike beliebten Sandalen – zu zeigen. Die Männer um Lucretia sind mit antikisierenden Brustpanzern mit Cingulum und Mänteln bekleidet und tragen ebenfalls Sandalen (Greiselmayer 1996, S. 116). Der links außen Stehende versucht Lucretia noch von ihrem Selbstmord abzuhalten. In der rechten Bildhälfte liegt der leblose Körper Lucretias schließlich auf einem Tuch am Boden, während die Männer über ihrem Leichnam mit verschiedenen Gesten Rache schwören. Hinter dieser Gruppe fällt der Blick über zwei nach hinten geöffnete Arkaden auf einen mit einer Menschenmenge bevölkerten Platz, der von antikisierenden Gebäuden gesäumt ist, die als freie Kombination prägnanter römischer Bauten wie der Engelsburg und des Pantheon zu verstehen sind (Greiselmayer 1996, S. 117f.). Im Mittelgrund wird Lucretia gerade auf den Platz getragen. Dahinter steht Brutus auf einem von vier Säulen getragenen Podest und ruft mit ausladenden Gesten zum Sturz des Königshauses auf. Im Scheitelpunkt der Arkaden sind die von Lorbeerkränzen gesäumten Wappen Bayerns und angebracht. Ergänzt wird die Geschichte durch zahlreiche Medaillons auf den Stirnseiten der Pfeiler, deren Darstellungen auf Themen wie Sünde, Verführung oder Herrschaft anspielen (Greiselmayer 1996, S. 118).

Mit dieser Gestaltungsweise hebt sich Breu deutlich von anderen Lucretia-Darstellungen ab, deren Ikonographie üblicherweise auf eine Schilderung des Freitodes oder eine weibliche Figur mit dem Attribut des Dolches begrenzt ist (Greiselmayer 1996, S. 119). Nach Greiselmayer liege die Betonung des Bildes weniger auf dem Selbstmord als auf den politischen Konsequenzen der Legende, die in einen Herrschaftswechsel – der Ausrufung der römischen Republik – mündet. Hierin sei eine Anspielung auf das bayerische Herzoghaus und dessen politische Ambitionen zu verstehen (Greiselmayer 1996, S. 118f – Vgl. hierzu auch die Argumentation von Pia F. Cuneo, deren Thesen – wie Greiselmayers – auf eine politische, darüber hinaus aber auch auf eine genderspezifische Lesart des Bildes abzielen (Cuneo 2003).

Es hat sich eine vorbereitende Zeichnung Breus erhalten (Budapest, Museum der schönen Künste, Inv.-Nr. 62), die sich in einigen Punkten vom ausgeführten Gemälde unterscheidet. Während die Figuren in der Zeichnung noch in zeitgenössische Gewänder gekleidet sind, bemühte sich Breu im Gemälde um eine antikisierende Darstellungsweise. Auch die Perspektive auf den durch die Arkaden erkennbaren Platz war in der Zeichnung noch eine andere. Des Weiteren weist die Vorzeichnung perspektivische Hilfslinien auf, die wie die antikisierende und klassische Gestaltung der Architektur und Gewänder eine Hinwendung Breus zur italienischen („welschen“) Malerei, die sich in dessen Oeuvre seit seiner Niederlassung in Augsburg im Jahr 1502 zunehmend nachvollziehen lässt (Morath-Fromm 2013, S. 601), greifbar machen (Morall 2001, S. 219-242).

Madlen Gulitsch

Kurztext

Das Gemälde des Augsburger Malers Jörg Breu d. Ä. (1480-1537) wurde 1528 im Auftrag Herzog Wilhelms IV. von Bayern (1493-1550) und dessen Gemahlin Jacobäa von Baden (1507-1580) für die Münchner Residenz des Fürstenpaares geschaffen. Es entstand als Teil eines aus 16 Bildern bestehenden Historienzyklus,dessen bekanntestes die „Alexanderschlacht“ Albrecht Altdorfers ist, und schildert die Geschichte der römischen Heldengestalt Lucretia. Diese war die schöne und tugendvolle Gemahlin des Neffen des letzten römischen Königs Lucius Tarquinius Superbus. Im Jahr 508 v. Chr. soll sie laut dem römischen Geschichtsschreiber Livius (Ab urbe condita, I, 57-60) ihren Freitod gewählt haben, nachdem sie vom Sohn des Königs vergewaltigt worden ist. Zuvor ließ sie jedoch ihren Vater und Ehemann sowie deren enge Vertraute Rache schwören, was zum Sturz des tarquinischen Königshauses und zur Ausrufung der römischen Republik führte. In Breus Gemälde wird diese Legende in mehreren über das Bild verteilten Szenen geschildert, die mit der Darstellung der schlafenden Lucretia im linken Hintergrund beginnen. Links im Vordergrund ist ihr Selbstmord vor Vater und Ehemann und deren Vertrauten abgebildet, während der Racheschwur der Männer rechts zu sehen ist. Durch zwei nach hinten geöffnete Arkaden fällt der Blick auf Lucretia, die auf einen mit zahlreichen Menschen bevölkerten Platz getragen wird. Dahinter steht Lucius Iunius Brutus, der Vertraute ihres Ehemannes, auf einem Podest und ruft zum Sturz des Königshauses auf. Die Szene ereignet sich vor einer prachtvollen Architekturkulisse, die auf bekannte römische Bauwerke wie das Pantheon oder die Engelsburg anspielt.

Madlen Gulitsch

 

Anmerkung

Reber 1906: „Die Geschichte der Lukretia. Links die bedrängte Heroine im Begriff sich zu erdolchen. Rechts Schwur der Rächer vor der Leiche. Im Hintergrund Ausblick auf das Forum, wo Brutus das Volk aufreizt. Oben die Wappen Bayerns und Badens und auf einer Tafel: 15b 28 Hoc opus fecit Jeogrius Prew de Aug. […] Zu dem von Herzog Wilhelm IV. bestellten Geschichtszyklus gehörig, 1632 von den Schweden entführt, 1895 aus der Galerie C. Ekman in Finspong zurückerworben.“  (S. 2)

Bulle 1906: „Ein sehr interessantes Bild, das den Einfluß der italienischen Kunst auf Deutschland erkennen läßt, ist die Geschichte der Lucretia von Jörg Preu oder Breu d. J. aus Augsburg, einem Schüler des großen Hans Burgkmair. Das Bild hat seine Schicksale gehabt. Es ist um 1525 als Teil eines großen Zyklus von Geschichts- und Schlachtenbildern gemalt im Auftrag des Herzogs Wilhelm IV. von Bayern und seiner Gemahlin Jakoba von Baden; das bayerische und badische Wappen findet sich als Schmuck in den Bogen der Halle angebracht. Das Bild wurde 1632 von den Schweden geraubt und befand sich in einer schwedischen Privatsammlung, bis es 1895 von der Pinakotheksdirektion zurückgekauft wurde. Links steht die entehrte Lucretia, im Begriffe sich zu erdolchen; rechts liegt ihre Leiche, umgeben von den Rächern, die die Hände zum Schwur erheben; im Hintergrunde sieht man das römische Forum, auf dem Brutus das Volk zur Vertreibung der Könige aufreizt. Man erkennt des Pantheon und die Trajanssäule. Wundervoll ist die Halle im Vordergrund, und man sieht auch an den Gestalten, wie sich hier ein deutscher Meister unter dem Einfluß Italiens zu großzügiger Stilisierung zu erheben versucht. Auch durch den warmen goldigbraunen Gundton des Kolorits ist das Bild sehr sympathisch.“ (S. 9-10)

Reber 1913: Kein Eintrag.

Haack 1921/22: Kein Eintrag.